Erfolgsbeispiele

Frau Lehmann

Das war das Ziel: „Eine Tätigkeit zu finden, die ich selbständig ausführen kann und mich endlich als berufstätige Frau fühlen zu können.“
Mit Frau Lehmann* (Beeinträchtigung: Tetraplegie, alle vier Extremitäten sind stark spastisch betroffen und die Sprache ist stark verwaschen) hatte Herr Großgerge schon ein Jahr lang während eines Projektes zusammengearbeitet. Er hat verschiedene Unternehmen in der freien Wirtschaft angesprochen und war mit Frau Lehmann bei Behörden. Gemeinsam nahmen sie Vorstellungsgespräche und Einstellungstests wahr. Nicht einmal eine Arbeitserprobung wollte man Frau Lehmann zugestehen.

Zugegeben, wenn man Frau Lehmann das erste Mal sieht, neigt man spontan dazu ihr wenig zuzutrauen. Weit gefehlt! Durch ihre offene Art und ihre Hartnäckigkeit hat sie gemeinsam mit taktilum schließlich einen Arbeitgeber gefunden. Das Konzept der individuellen Beratung und des persönlichen Coachings hat seine Wirkung gezeigt. Durch die engagierte Arbeitserprobung von Frau Lehmann und ihre Art mit den Kolleg*innen umzugehen, überzeugte sie alle Beteiligten. Sie hat einen auf zwei Jahre befristeten Arbeitsvertrag.
 

Dieser wird angemessen mit 70 % vom Jobcenter gefördert, sodass die Minderleistungen, die durch die Beeinträchtigungen entstehen, finanziell kompensiert werden können und somit auch der Betrieb einen Vorteil hat. Frau Lehmann arbeitet in einem Gemeinschaftsbüro mit zwei weiteren Kolleginnen zusammen und bearbeitet Kund*innendaten eines großen Umweltschutzbundes.

Zuvor waren dem einige Verhandlungen vorausgegangen. Die Organisation hatte schon länger über die Anstellung eines Menschen mit Behinderung nachgedacht, aber bisher noch keine konkreten Schritte unternommen. Die kaufmännische Leitung wurde von dem Gewinn überzeugt, den speziell Frau Lehmann dem Team bringen könnte. Auch wenn wir Frau Lehmann in diesem Job, den wir für sie gefunden haben, nicht als hilfsbedürftig bezeichnen würden, hat das Team um sie herum einfach das gute Gefühl, jemandem in der Einstiegsphase geholfen zu haben. Helfen bringt Spaß, versuchen Sie es auch mal.
 
Nach einem ersten Vorstellungsgespräch wurden die direkten Kolleginnen in die Besonderheiten bei Frau Lehmann eingewiesen. Zum ersten Arbeitstag wurde Frau Lehmann von taktilum begleitet. Sie war sich jedoch nach recht kurzer Zeit so sicher, dass sie die Rückendeckung vor Ort nicht mehr brauchte. Dies spiegelt das Arbeiten auf gleicher Augenhöhe mit unseren Klient*innen wider. Weitere Besuche zu unterschiedlichen Tageszeiten und der regelmäßige Kontakt mit der Geschäftsführung und den Kolleginnen ließen das gegenseitige Vertrauen wachsen. Es herrscht ein kollegialer Ton.
 

Das erste Zeugnis hat Frau Lehmann schon erhalten. Sie sei intelligent, besäße eine schnelle Auffassungsgabe und mache so wenige Fehler, wie kaum ein anderer, der gerade mit der Arbeit begonnen hat. Nun gut, sie sei nicht so schnell wie andere ohne Beeinträchtigung, aber das macht nichts. Finanziell wird es gefördert und kollegial könne man die neue Zusammenarbeit nicht mit Gold aufwiegen. In knapp zwei Jahren wird entschieden, ob Frau Lehmann einen unbefristeten Vertrag bekommt…

*Namen geändert

Siglinde S.* …Wenn man selbst am Zweifeln ist

Ich hatte anfangs alles: einen gut bezahlten Job, eine Familie und war eigentlich gut ausgelastet.

Doch dann ging es bergab. Meine Ehe ging auseinander, die Firma, für die ich tätig war, musste Insolvenz anmelden und meine Augenkrankheit verschlimmerte sich. Ich habe eine „juvenile Makuladegeneration“, d.h. während das periphere Sehen erhalten bleibt, wird es zunehmend schwieriger, einzelne Personen und Gegenstände visuell wahrzunehmen. Auch das Lesen erweist sich als problematisch. Dreidimensional konnte ich noch nie sehen.

Mit Ende 40 neu anfangen? Als alleinerziehende Mutter mit einer Netzhauterkrankung? Drei Probleme auf einmal. Aber aufgeben wollte ich keinesfalls. Ich musste handeln, wenn ich nicht auf dem Abstellgleis landen wollte. Die „Beratungsstelle für Sehbehinderte“ gab mir den Tipp, mich bzgl. einer Jobsuche an „taktilum“ zu wenden. Der erste Termin war schnell gemacht. Es handelte sich um ein wirklich freundliches und aufschlussreiches Gespräch. Sehr offen und völlig vorurteilsfrei. Jemand, der die Dinge von der anderen Seite betrachtet. Nicht, was kannst Du nicht, sondern, was schwebt Dir vor? Was sind Deine beruflichen Wünsche, wo willst Du hin? Es wurde ein „Profiling“ durchgeführt, in dessen Rahmen eine Analyse der Fähigkeiten im Mittelpunkt stand. Außerdem wurde mit ebenso offenen und ehrlichen Worten thematisiert, inwiefern mich meine Beeinträchtigung im Job einschränkt.
 

Ich hatte Glück, denn ich bekam relativ schnell ein Praktikum, durch das der Arbeitgeber von mir hätte überzeugt werden sollen. Leider konnte ich nicht übernommen werden, weil bestimmte Förderungen nicht genehmigt wurden. Weitere Vorstellungsgespräche erfolgten, die ähnlich glücklos verliefen. Herr Großgerge schlug mir daraufhin die Teilnahme an einem Workshop vor. Es stellte sich heraus, dass ich bei Vorstellungsgesprächen mein Gegenüber bzgl. meiner sog. Behinderung im Unklaren ließ und somit eine Unsicherheit hinterließ, die meine potentiellen Arbeitgeber möglicherweise abschreckte. In der Nachbereitung des Workshops arbeiteten wir in Einzelgesprächen an der Beseitigung dieses Mankos. Sehr gut gefallen hatte mir in dem Kontext auch, dass ich im Workshop andere Teilnehmer kennenlernen konnte. Dieses Gefühl, nicht allein zu sein, gab zusätzlich Kraft. Es ist unglaublich schön, auf Gleichgesinnte zu treffen, die alle ihr „Päckchen“ zu tragen hatten und trotz ihrer Behinderung, genau wie ich, den Wunsch verspürten, am Arbeitsleben teilnehmen zu wollen. Wir saßen alle im gleichen Boot und konnten uns gegenseitig stützen und unterstützen.

Nachdem ich gelernt hatte, mich „besser“ zu verkaufen, meine Netzhauterkrankung zwar anzusprechen, aber nicht als Hinderungsgrund einer Einstellung zu betrachten, klappte es auch. Ich fand eine wunderbare unbefristete Anstellung.
 

Zu erwähnen sei indes noch, dass es oftmals nicht genügt, den Willen und Wunsch zu formulieren, einer Tätigkeit nachzugehen, wenn man auf Behörden stößt, die stur nach den Buchstaben des Gesetzes handeln. Die DRV, in die ich jahrelang eingezahlt hatte, sollte mir Hilfsmittel bezahlen. Ich benötigte bspw. einen größeren PC-Monitor, eine bessere Tastatur, eine Leselupe, etc., Gegenstände, die zur Erfüllung des Jobs vonnöten waren. taktilum kooperiert mit der Sehbehindertenberatung. So wurde eine Arbeitsplatzausstattung zusammengestellt, ein Kostenvoranschlag wurde zeitnah eingereicht, aber „mein Fall“ wurde einfach nicht bearbeitet. Statt die Problematik zu erkennen, wurde ich immer wieder vertröstet. Die Zeit lief mir davon. Auch da musste Herr Großgerge wiederholt intervenieren und zugegeben, ohne eine Bekannte, die auch in der DRV arbeitete, hätte ich meinen Arbeitsplatz wieder verlieren können.

Mittlerweile arbeite ich seit zwei Jahren als Sekretärin dort und bin überglücklich, dass alles trotz vieler Hindernisse und zusätzlicher Steine, die mir in den Weg gelegt worden sind, geklappt hat.
 

Es ist gut, jemanden zu haben, der an einen glaubt und entsprechend hilft, gerade dann, wenn man selbst am Zweifeln ist.

*Name von taktilum geändert

Alla Faerovich: …Ich konnte es nicht glauben, dass es doch noch geklappt hat​

Ich bin 31 Jahre, habe eine Körper- und Sprachbehinderung (Spastikerin). Seit dem Jahr 2005 habe ich meine Ausbildung als Bürokraft beendet und seitdem konnte ich zwei Jahren keinen Arbeitsplatz finden.

Ich war schon sehr enttäuscht und depressiv und dachte, dass ich mit meiner Beeinträchtigung nie einen Job finden werde. Im Jahre 2007 bekam ich vom Job Center, das mit der Grone-Netzwerk Berlin gGmbH zusammenarbeitet, eine Maßnahme für Menschen mit Beeinträchtigung. Das war ein Projekt, mit dem Ziel Menschen mit Beeinträchtigung auf den ersten Arbeitsmarkt zu bringen und ging 11 Monate lang. Dies weckte in mir die Hoffnung, dass ich durch dieses Projekt eine Unterstützung bei der Arbeitssuche bekommen und einen Job finden würde.
 

Nachdem die 11 Monate verstrichen waren, hatte ich jedoch wieder nichts erreicht und Enttäuschung und Resignation machten sich breit. Kurz nach Beendigung der Maßnahme schrieb mir ganz plötzlich mein Projektleiter Herr Großgerge eine E-Mail, dass ich doch ein Vorstellungsgespräch beim BUND für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V. habe. Ich konnte es nicht glauben, dass es doch noch geklappt hat und dass es Menschen gibt wie Herrn Großgerge.

Er hat sich für mich eingesetzt, obwohl meine Maßnahme schon vorbei war. Mein Vorstellungsgespräch bei dem BUND für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V., zu dem Herr Großgerge mich begleitet hat, ist sehr gut verlaufen und ich wurde erstmal für 6 Wochen zur Probezeit angestellt. Nach der Probezeit wurde mir ein Verlängerungsvertrag auf zwei Jahre angeboten, aber es gab Schwierigkeiten mit den Fördergeldern. Trotz allem wurde, mit Hilfe von Herrn Großgerge, alles geklärt und ich habe meinen Arbeitsvertrag auf zwei Jahre unterschrieben bekommen.
 

Ich möchte mich an alle schwerbehinderten Menschen wenden, dass sie nicht bei der Arbeitssuche aufgeben und die Hoffnung nicht verlieren sollen. Wenn man ein Ziel hat, soll man dieses Ziel immer versuchen zu erreichen.

Berichtet von Alla Faerovich
Berlin, 03.08.2008